Neues in der Kategorie Tipps und Erklärungen

Neulich bat mich mal wieder ein Student um ein Interview für seine Abschlußarbeit. Da waren einige ganz interessante Fragen dabei - unter anderem wollte er wissen, was meiner Ansicht nach die Top 10 Usability-Fehler sind. Die Frage hat mir so gut gefallen, dass ich meine Antworten hier mal nennen möchte.

Also, meiner Meinung nach sind die Top 10 Usability-Fehler:

1) Die Nutzungskontextanalyse fehlt.
Der Nutzungskontext beschreibt das Umfeld des Nutzers, also seine Aufgaben, seine Arbeitsmittel, die Arbeitsumgebung sowie den Nutzer selbst, z.B. seine Erfahrungen und Fähigkeiten. Die Usability eines Produkts bezieht sich immer auf den Nutzungskontext. Die Nutzungskontextanalyse sollte immer am Anfang von Usability-Maßnahmen stehen, sie bildet sozusagen das Fundament für das weitere Vorgehen. Dieser Punkt wird jedoch besonders häufig vernachlässigt.

2) Die Erwartungskonformität wird verletzt.
Erwartungskonformität ist ein Grundsatz der DIN Norm 9241-110 und meint, dass Produkte so funktionieren sollen, wie es der Nutzer erwartet - und das ist in der Regel so, wie es allgemein anerkannten Konventionen entspricht. Ein schönes Beispiel ist der Warenkorb in Online-Shops, bei dem wir mittlerweile eine gewisse Platzierung und ein bestimmtes Icon gewohnt sind. Weicht ein Shop in diesen Punkten von der Erwartungskonformität ab, dauert es unter Umständen länger, bis der Nutzer den Warenkorb findet - das kann bis zum Kaufabbruch gehen.

3) Die Nutzer werden in keiner Entwicklungsphase einbezogen
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Usability-Maßnahmen können prinzipiell in jeder Phase der Entwicklung eines Produktes durchgeführt werden. Und von Anfang an sollten dabei die Nutzer einbezogen werden - schließlich sind sie es, die das Produkt später bedienen sollen. Allzu häufig werden Nutzer jedoch in gar keiner Entwicklungsphase befragt oder gar zum Test gebeten. In der Folge erleben Unternehmen dann häufig Käuferfrust, der sich an der Hotline entlädt. Usability kann dafür sorgen, dass derartige Kosten gesenkt werden. Aber dazu muss man eben die Nutzer einbeziehen.

4) Irgendwelche Aufzählungspunkte vergessen... äh, nein: Die Nutzer zu spät einbeziehen.
Nachdem ich freundlicherweise auf die fehlende 4) hingewiesen wurde (die inkonsistenten Aufzählungspunkte hat übrigens keiner gemerkt!) - hier ist sie: Schön, wenn die Nutzer dann doch noch einbezogen werden. Häufig erfolgt das dann aber leider zu spät, das heißt in der Regel dann, wenn der Entwicklungsprozess schon (zu) weit fortgeschritten ist. Usability-Experten hassen das, denn es bedeutet oft, dass von vorgefertigten Meinungen darüber, wie das Produkt auszusehen hat, kaum noch abgewichen werden mag.

5) Im Entwicklungsprozess werden keine oder nicht genügend Iterationen durchgeführt.
Schön, wenn Usability-Maßnahmen die Entwickung eines Produktes begleiten. Aber: Usability ist ein iterativer Prozess. Das heißt, Ergebnisse einzelner Maßnahmen - zum Beispiel Nutzertests mit Prototypen - sollten überprüft werden und gegebenenfalls Änderungen anstoßen. Diese sollten dann möglichst erneut - von Experten oder Nutzern - evaluiert werden.

6) Das Design weist eine mangelnde Erinnerbarkeit auf.

Ein Problem (nicht nur) der Web-Usability: wer möchte, dass die Nutzer seine Webseite später noch einmal besuchen, sollte dafür sorgen, dass man nicht lange überlegen muss, wo bestimmte Funktionen bzw. Navigationspunkte zu finden sind. Dieser Punkt hängt natürlich mit der Erwartungskonformität zusammen und damit, dass ein Design einfach möglichst übersichtlich und strukturiert gestaltet sein sollte. Erinnerbarkeit kommt Nutzern immer dann zugute, wenn sie ein Produkt nach längerer Zeit wieder einmal nutzen wollen - ist es intuitiv gestaltet, finden sie sich leicht wieder zurecht.

7) Die Gestaltung ist inkonsistent.
Inkonsistenz ist ein sehr, sehr häufiges Usability-Problem, daher habe ich auch sehr damit gehadert, ihm "nur" Platz 7 zu geben. Inkonsistent ist ein Produkt immer dann, wenn zusammengehörige Elemente nicht durchgängig gleich gestaltet sind. Sprich: ein Kasten auf einer Webseite, der mich auf Neuigkeiten hinweist, sollte entweder immer auf allen oder immer nur auf einer Seite (z. B. der Startseite)  zu sehen sein, aber nicht mal so, mal so. Er sollte auch immer gleich aussehen, also nicht auf der Startseite einen blauen Rand haben und auf der "Aktuelles"-Seite gar keinen Rand. Das gilt natürlich auch für Textauszeichnungen, Links, die Navigation und alle anderen Bereiche und Elemente.

8) Die Fehlermeldungen sind schlecht.
Kein Nutzer wird gerne belehrt oder getadelt. Fehlermeldungen, die unverständlich, völlig unangemessen gestaltet  oder nicht ausführlich genug sind, sieht man leider viel zu viele.

9) Es gibt keine oder nur unzureichende Hilfe-Funktionen.
Es gibt nun einmal nur wenig selbsterklärende Produkte - Hilfe anzubieten, ist nie verkehrt. Fehlen solche Möglichkeiten, wenden sich die Nutzer - wahrscheinlich frustriert - mit ihren Fragen an den Hersteller. Das ist natürlich auch nicht falsch, produziert aber Kosten. Vermeidbare Kosten.

10) Die Lokalisierung wird vernachlässigt.
Ein Klassiker bei Bedienungsanleitungen: entweder gibt es gar keine Übersetzung, oder sie ist so schlecht, dass man kein Wort versteht. Das ist durchaus ein Usability-Problem, und eines, dessen Beseitigung auch nicht die Welt kosten würde.

Was sind Eure Top 10?
... oder wie soll ich dieses missglückte Ding hier verstehen?

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Das ist die Standardeinstellung im Neukundenformular von Serverloft, zu erreichen, wenn man im Shop ein Produkt auswählt und zur Kasse geht. Fräulein! Die Firma sitzt in Hürth, nicht etwa in einem Land, in dem man so eine Anrede möglicherweise noch höflich findet...

Über diesem Formular gibt es den Hinweis "Bitte füllen Sie untenstehende Angaben vollständig aus". Das würde ich so werten, dass alles Pflichtfelder sein sollen - nur warum sollte ich wohl meinen Geburtsort angeben und Telefon, Mobil- UND Faxnummer? Wegen einer möglichen Schufa-Überprüfung?

Interessanterweise sind es aber tatsächlich NICHT alles Pflichtfelder. Lässt man alle Felder leer, schlagen nur einige Fehlermeldungen auf. Die haben es aber in sich. So sehen sie aus:

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Au! Das tut in den Augen weh. Mehr noch schmerzen jedoch die Formulierungen. Fehlermeldungen sollten dem Nutzer ein konstruktives Feedback liefern. Studien haben gezeigt, dass tadelnder Tonfall wie "Ort ungültig" den Anwender nervös und durcheinander machen. Das führt unter Umständen zu neuen Fehlern - häufig jedoch vor allem zu Frust. Die Wortwahl ist bei Fehlermeldungen wichtig, besonders bei wenig computererfahrenen Nutzern (dies nur allgemein, im vorliegenden Fall kann man wahrscheinlich von eher computeraffinen Nutzern ausgehen).

Die wichtigsten Regeln für die Gestaltung von Fehlermeldungen lauten:
- sie sollen ausführlich sein,
- sie sollen den Nutzer konstruktiv anleiten,
- sie sollen einen positiven Ton haben,
- die Ausdrucksweise soll sich am Nutzer orientieren und
- sie sollen angemessen aussehen.

Die Fehlermeldungen in diesem Beispiel erscheinen am oberen Bildschirmrand. Wenngleich es keine allgemeingültigen Regeln dafür gibt, wo Fehlermeldungen am besten erscheinen sollten, hat sich die Variante durchgesetzt, sie möglichst nah am enstprechenden Formularfeld zu platzieren. Das ist jedenfalls sinnvoller als den halben Bildschirm mit Fehlermeldungen zu füllen...

Fehlermeldungen und nutzerorientierte Bezeichnungen innerhalb von Menüs in Formularen sind natürlich nur zwei Punkte, die es beim Design von Formularen zu beachten gilt. Dies mal als ersten Einblick - und als Hinweis, dass Usability auch hier sehr wichtig ist, um die Benutzungsfreundlichkeit einer Webanwendung in allen Bereichen sicherzustellen.
...mit den Online-Shops. Claus Wagner zeigt heute in einem netten Test , wie kompliziert so mancher Shop-Betreiber bei der Ansicht des Warenkorbs denkt. Dabei wäre es so einfach: Denkt wie die Nutzer! Arbeitet erwartungskonform! Vereinfacht die Gestaltung! Hallo, es kann doch nicht so schwer sein?

Das Perl-Blog beschäftigte sich in dieser Woche intensiv mit der neuen Online-Petitionen-Webseite des Deutschen Bundestages. Ziel dieser Seite ist eine Übersicht über öffentliche Petitionen, das Mitzeichnen und Einreichen solcher und die Diskussion über diese Petitionen. Die Seite weist neben technischen Mängeln und mangelhafter Barrierefreiheit auch Usability-Probleme auf.

Seit gestern gibt es für Nutzer die Möglichkeit, in einer kleinen Befragung ihre Meinung über die Online-Petitions-Webseite mitzuteilen.

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Online-Befragungen sind eine einfache und kostengünstige Methode, die Meinung der Benutzer zu einem Produkt zu erfahren. Allerdings: solche Befragungen werden oft viel zu spät durchgeführt, nämlich dann, wenn ein Produkt bereits (nahezu) fertig ist. Das Problem: nachträgliche Änderungen kosten Geld, die Bereitschaft, Änderungen wirklich durchzuführen, ist bei einem fertigen Produkt in der Regel nicht sehr hoch. Zudem wird bei Online-Befragungen häufig nicht sehr methodisch vorgegangen, die Fragen sind oft nicht zielgerichtet genug.
 

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Eine solche Frage ist nicht besonders hilfreich. Was, wenn ein großer Prozentsatz derjenigen, die an dieser Umfrage teilnehmen, die Nutzerfreundlichkeit als mangelhaft oder schlecht bewertet? Werden dann - endlich - "echte" Nutzertests durchgeführt? Das wäre zwar gut, aber kostenintensiv.

Ein vermeidbares Problem, nicht nur bei Webseiten der öffentlichen Verwaltung. Werden die Nutzer frühzeitig in die Entwicklung einbezogen, können zielgerichtete Methoden verwendet werden, die helfen, Usability-Probleme zu entdecken, bevor sie das Endprodukt beeinflussen. So vermeidet man teure Nachbesserungen an einem fertigen Produkt, vermindert Supportkosten und - das ist bei einer Webseite der öffentlichen Verwaltung nun wieder wichtig - hinterlässt beim Benutzer ein gutes Gefühl. Usability-Experten beraten bei der Auswahl der jeweils besten Methode, die Benutzungsfreundlichkeit zu überprüfen.

Usability-optimierte Produkte, auch Webseiten, sind leicht bedienbar; und im Idealfall macht es Freude, sie zu bedienen, häufig auch unbewusst. Alles, was nicht behindert, sondern unterstützt, ist sinnvoll. Wer sich das vor Augen hält, vermeidet spätere kosmetische Operationen an etwas, das man bereits von Beginn an benutzungsfreundlich gestalten hätte können.

Ich habe in diesem Blog schon einige Webseiten ein wenig unter die Lupe genommen. Wer mit Usability-Methoden nicht ganz so vertraut ist, wird die Berichte vielleicht ein wenig willkürlich oder nicht so einfach zu verstehen gefunden haben (was sicher auch daran liegt, dass ich in diesem Rahmen keinen kompletten Kriterien-Katalog abarbeiten kann und mich daher immer auf einige, wenige Punkte konzentriere). Wir sind schon mit den ersten Einträgen direkt in medias res gegangen, aber ich möchte die Grundlagen nicht vernachlässigen. Daher wird es nun in loser Folge immer wieder mal Erklärungen geben.

Die Evaluation ist die Analyse und Bewertung eines bestimmten Gegenstandes. Diverse Methoden sind möglich, um eine Evaluation durchzuführen. Man unterscheidet grob zwischen

  • analytischen Verfahren
    und
  • empirischen Verfahren.

In analytischen Verfahren werden "vorgeschriebene Prüfvorgehen auf der Basis bestimmter Kriterien" [1]. Hier bewerten Experten den entsprechenden, zu untersuchenden Produkt. Man spricht daher auch von "expertenbasierten" Verfahren.

In empirischen Verfahren werden Benutzer zu dem Produkt befragt und/oder beobachtet. Diese Verfahren nennt man daher auch "benutzerorientierte" Verfahren.

Beide Arten werden häufig kombiniert und dienen dazu, unterschiedliche Probleme aufzudecken. Eine Experten-Evaluation vor einem Nutzertest kann Zeit und Geld sparen.

Die Web-Evaluation gehört zu den analytischen Verfahren. Am häufigsten angewandt wird dabei die so genannte Heuristischen Evaluation. Heuristiken sind Regeln und Prinzipien, die Bewertungskriterien für die Untersuchung bilden. Dafür gibt es festgelegte Kriterienkataloge, die ein methodisches Vorgehen erleichtern. Zu den Kriterien gehören idealerweise auch entsprechende Normen wie die Normenreihe DIN EN ISO 9241. Als Informationsdesigner haben wir unsere eigenen Heuristiken entwickelt, die diverse bekannte Kriterien mit Erkenntnissen der Wahrnehmungsforschung, der Didaktik, der Gestaltung und anderen Bereichen vermischen. Ziel ist, ein möglichst umfassendes Bild des zu untersuchenden Produktes zu erlangen, damit die Webseite im Sinne der Benutzer optimiert werden kann. Überprüft werden in der Regel alle für den Benutzer sichtbaren bzw. relevanten Teile der Webseite, also die Gestaltung, die Nutzerführung, die Navigation, der Text, die Funktionalität, die Struktur usw.

Die so genannte Accessibility, das heißt Zugänglichkeit im Sinne der Barrierefreiheit, ist häufig kein Bestandteil einer Web-Evaluation. Der Barrierekompass erläutert - etwas scharf - warum:

Usability kümmert sich gar nicht um Accessibility. Die klassische Usability berücksichtigt nur die Menschen, die nicht in Ihren Möglichkeiten eingeschränkt sind. Insofern bedeutet Benutzerfreundlichkeit, dass nur "normalen" Menschen mit "normalem" Sehvermögen, "normaler" Intelligenz und "normalen" Körperfunktionen ein effizienter Zugriff auf Informationen und Technik möglich gemacht werden soll.

Barrierefreiheit ist natürlich auch ein Usability-Thema, aber tatsächlich wird es in den gängigen Heuristischen Evaluationen kaum erfasst. Das liegt sicher auch an der Komplexität des Themas. Allerdings setzt sich die Auffassung, dass Barrierefreiheit nicht nur für in irgendeiner Form behinderte Menschen sinnvoll und wichtig ist, langsam immer mehr durch.

Ein weiteres Thema, das durch die Web-Evaluation durch Experten kaum erfasst werden kann, ist die hedonische Qualität. Es gibt spezielle Fragebögen zur Messung der Attraktivität des Produktes auf den Nutzer, aber diese sind natürlich für die Befragung der Nutzer gedacht und gehören deshalb zu den empirischen Verfahren. Dennoch ist die hedonische Qualität ein Faktor, der bei einer Web-Evaluation zumindest bedacht werden sollte: Könnte diese Funktion, dieser Bereich, diese Webseite dem Nutzer Spaß machen? Insbesondere im Web 2.0-Umfeld sind das wichtige Fragen, die vielleicht in Zukunft Einfluß auf die Heuristiken bei der Web-Evaluation haben.
 

 

 

[1] Machate und Burmester (Hrsg.): User Interface Tuning. Benutzungsschnittstellen menschlich gestalten.